Apropos Träume. Nachdem ich schon den 2. Teil der Oslo Trilogie, eben Träume gesehen habe, habe ich mir gestern Sehnsucht im Votivkino angesehen.
Zwei Rauchfangkehrer sitzen im Pausenraum ihres Unternehmens. Der namenlose Teamleiter (Thorbjorn Harr) erzählt dem namenlosen Arbeiter (Jan Gonnar Roise) von einem Traum, den er in der Nacht zuvor hatte. Daraufhin erzählt ihm der Arbeiter etwas sehr intimes und daraus entwickelt sich dann die Handlung harhar sorry, man kann kaum etwas zu diesem Film sagen, ohne zu spoilern. Wobei es bei diesem Film irgendwie egal ist, weil es nicht darum geht, was großartig verraten wird, sondern um die Gespräche, die sich daraus ergeben.
TROTZDEM AB HIER SPOILER
Im Traum des Teamleiters geht es darum, dass ihm David Bowie begegnet und ihn so ansieht, als wäre er, der Teamleiter, eine Frau. Im Erlebnis des Arbeiters geht es darum, dass ihn ein Kunde (männlich) gefragt hatte, ob er Sex mit ihm haben will und der Arbeiter hat dann eingewilligt. Beide Protagonisten sind heterosexuelle Männer in ihren 40-ern, schon lange verheiratet, mit Kindern im Teenageralter.
Das Schöne an diesem Film ist, obwohl er natürlich, wenn man so will, sehr queere Themen hat, von möglicher Bisexualität bis zu Geschlechtsdysphorie: er hat überhaupt keine Agenda. Das hat mich an Jaques Audiards Emilia Perez erinnert, auch wenn die Filme sonst gar nichts gemeinsam haben. Aber in beiden wird eine Geschichte erzählt, ohne irgendeine gesamtgesellschaftliche Diskussion anstoßen oder irgendjemand von irgendwas überzeugen zu wollen. Im Gegenteil, hier geht es ganz viel darum, selbst auzuloten, was eigentlich genau passiert ist, welche Gefühle man deswegen empfindet, ob sich diese Gefühle mit der bisherigen Lebensweise vereinbaren lassen und was eigentlich die eigenen Frauen so dazu sagen.
Obwohl der Falter geschrieben hat, das wäre der sperrigste Film der Trilogie, fand ich ihn, trotz der nicht ganz unproblematischen Thematik – die Frau des Arbeiters stürzt in eine schwere Krise – sowohl sehr poetisch, wie phasenweise auch extrem witzig. Speziell im Mittelteil gibt es einige Szenen, wo das ganze Publikum laut gelacht hat. Zum Beispiel die, als über Tattoos geredet wird und das Kind vom Abteilungsleiter seiner Ärztin erzählt, dass sich sein Lehrer “I love my familiy” auf den Arm tätowiert hätte. Diese daraufhin: “Oh, grausamer Phantomschmerz getarnt als Empathie” harhar. Schön fand ich, wie der Arbeiter dem Abteilungsleiter erzählt, dass seine Frau sich mit einer Freundin trifft, um mit ihr “die Situation” zu besprechen und, dass er Angst davor hat. Der Abteilungsleiter daraufhin: Was ist diese Freundin für ein Typ? Ist sie jemand, bei der die Welt größer wird, wenn man mit ihr redet oder bei der die Welt kleiner wird?” Finde ich einen total interessanten Gedanken. Der Arbeiter darauf: Bei ihr wird die Welt weder größer noch kleiner harhar.
Ich hätte es nicht erwartet, aber dieser Film ist ein kleines Highlight in diesem bisherigen Kinojahr, das für mich aus durchwegs eher so okayen Filmen bestanden hat. Mich haben sowohl die Gespräche, die so persönlich und voller tiefer Reflexionen sind, komplett abgeholt, wie auch die unspektakulären Alltagsbilder mit kleinen Details. Einmal schwenkt die Kamera etwa über den Herd der einen Familie, daneben steht ein Pfefferstreuer und ich denke mir so, wenn bei mir ein Pfefferstreuer neben dem Herd steht, dann ist meistens auch Pfeffer auf dem Herd verstreut (harhar), auch wenn das Kochen schon lange beendet worden ist. Und genau das sehen wir hier. Das gibt uns das Gefühl, dass wir wirklich einen Alltagsschauplatz beobachten und nicht nur ein Filmset.
Große Empfehlung jedenfalls. Zumindest wenn man “Laberfilme” mag. Jetzt muss ich mir Teil 3 (bzw. eigentlich Teil 1, Liebe) wohl auch noch ansehen.